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Medikamentenengpässe: Ursachen und Lösungen

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Redakteur
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(CIS-intern) – Die Verfügbarkeit lebensnotwendiger Arzneimittel stellt ein fundamentales Grundrecht dar, doch zunehmend häufiger stehen Apotheken, Krankenhäuser und Patienten vor leeren Regalen. Allein in Deutschland wurden 2023 über 500 verschiedene Wirkstoffe als nicht oder nur eingeschränkt lieferbar gemeldet – eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Diese alarmierende Entwicklung betrifft längst nicht mehr nur einzelne Spezialpräparate, sondern erstreckt sich auf Antibiotika, Schmerzmittel, Krebsmedikamente und sogar simple Fiebersäfte für Kinder. Die Konsequenzen reichen von verzögerten Behandlungen über kostspielige Therapieumstellungen bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen für chronisch kranke Menschen. Während die Politik nach schnellen Lösungen sucht und die Pharmaindustrie auf komplexe globale Lieferketten verweist, wächst die Verunsicherung in der Bevölkerung stetig.

Globale Produktionsketten als Achillesferse der Arzneimittelversorgung

Die moderne Pharmaproduktion folgt den Gesetzen der Globalisierung: Wirkstoffe werden dort hergestellt, wo die Kosten am niedrigsten sind. Ein hoher Prozentsatz der Antibiotika-Grundstoffe stammt aus China und Indien, wobei Schätzungen variieren, während die Weiterverarbeitung oft in anderen asiatischen Ländern erfolgt. Diese extremen Abhängigkeiten wurden während der Corona-Pandemie schonungslos offengelegt, als Exportstopps und Grenzschließungen die Lieferketten unterbrachen. Praktische Tipps für Ihre Reiseapotheke helfen bei der persönlichen Vorsorge.

Das strukturelle Problem wird damit natürlich nicht gelöst. Ein einziger Produktionsausfall in einer chinesischen Fabrik kann weltweit zu Engpässen führen, da alternative Hersteller fehlen oder ihre Kapazitäten bereits ausgelastet sind.

Die Just-in-Time-Produktion, ursprünglich zur Kostensenkung eingeführt, erweist sich als fataler Schwachpunkt. Pharmaunternehmen halten oft minimale Lagerbestände, um Kapital nicht zu binden und Effizienz zu steigern. Gleichzeitig wurden in Europa systematisch Produktionsstätten geschlossen, da die Herstellung in Asien oft deutlich günstiger ist. Diese Entwicklung hat zu einer gefährlichen Monokultur geführt: Für viele Wirkstoffe existieren weltweit nur noch zwei oder drei Produktionsanlagen.

Wirtschaftliche Fehlanreize verschärfen die Krise

Das deutsche Rabattvertragssystem, eigentlich zur Kostendämpfung gedacht, trägt paradoxerweise zur Verschärfung der Engpässe bei. Krankenkassen schließen Exklusivverträge mit einzelnen Herstellern ab, die dann für Millionen Versicherte alleiniger Lieferant werden. Fällt dieser Hersteller aus, gibt es keinen schnellen Ersatz. Die Preise für Generika wurden dabei so stark gedrückt, dass sich die Produktion für viele Unternehmen nicht mehr lohnt. Einige Antibiotika könnten unter den Herstellungskosten verkauft werden, was für bestimmte Hersteller ein Verlustgeschäft darstellt und zum Marktaustritt führen kann.

Regulatorische Hürden bremsen flexible Lösungen

Die strengen Zulassungsvorschriften, die normalerweise der Patientensicherheit dienen, werden in Krisenzeiten zum Hindernis. Ein in Frankreich zugelassenes Medikament darf nicht automatisch in Deutschland vertrieben werden, aber es gibt innerhalb der EU Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen, die den Prozess erleichtern können. Dennoch sind oft Umverpackungen, Übersetzungen und zusätzliche Verfahrensschritte notwendig, die wertvolle Zeit kosten. Während dieser bürokratischen Prozesse verschärft sich die Mangelsituation oft dramatisch. Digitale Innovationen im medizinischen Bereich könnten hier Abhilfe schaffen, indem sie Zulassungsprozesse beschleunigen und Bestandsdaten in Echtzeit verfügbar machen.

Innovative Ansätze zur Krisenbewältigung

Die Europäische Union hat die Brisanz der Situation erkannt und arbeitet an umfassenden Reformen. Neue Strategien auf europäischer Ebene zur Bekämpfung von Lieferengpässen sehen vor, kritische Wirkstoffe wieder verstärkt in Europa zu produzieren. Frankreich hat Initiativen zur Förderung der pharmazeutischen Produktion gestartet und unterstützt den Aufbau neuer Produktionsanlagen. Österreich führt eine verpflichtende Bevorratung für essenzielle Arzneimittel ein, während die Niederlande auf verstärkte internationale Kooperationen setzen.

Besonders vielversprechend sind dezentrale Produktionskonzepte, bei denen Krankenhausapotheken bestimmte Präparate selbst herstellen können. Moderne 3D-Druckverfahren könnten in Zukunft die Herstellung individueller Tabletten direkt vor Ort ermöglichen. Diese Technologien befinden sich noch in der Erprobungsphase, könnten aber mittelfristig die Abhängigkeit von globalen Lieferketten reduzieren. Parallel dazu entwickeln Forschungseinrichtungen alternative Synthesewege für kritische Wirkstoffe, die eine wirtschaftlichere Produktion in Hochlohnländern ermöglichen.

Die Digitalisierung spielt eine Schlüsselrolle bei der Früherkennung drohender Engpässe. Künstliche Intelligenz analysiert Produktionsdaten, Lagerbestände und Verbrauchsmuster in Echtzeit. So können Versorgungslücken bereits Monate im Voraus identifiziert und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Gesellschaftliche Herausforderungen im digitalen Wandel zeigen sich hier besonders deutlich: Der Datenschutz muss mit dem Bedürfnis nach Versorgungssicherheit in Einklang gebracht werden.

Nationale Reserven als Sicherheitsnetz

Deutschland plant den Aufbau einer nationalen Arzneimittelreserve nach Schweizer Vorbild. Die folgenden Maßnahmen stehen dabei im Fokus:

  • Bevorratung von mindestens 1.200 versorgungskritischen Wirkstoffen für einen Zeitraum von sechs Monaten
  • Etablierung regionaler Notfalllager in allen Bundesländern zur schnellen Verteilung
  • Verpflichtung der Hersteller zur Meldung von Produktionsausfällen mindestens vier Monate im Voraus
  • Aufbau einer staatlichen Produktionsreserve für absolute Notfälle
  • Schaffung finanzieller Anreize für Unternehmen, die Produktionskapazitäten in Europa vorhalten

Diese Maßnahmen erfordern Investitionen in Milliardenhöhe, gelten aber als unverzichtbar für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Die Finanzierung könnte durch verschiedene Mechanismen erfolgen, wobei konkrete Pläne für eine allgemeine Umlage auf verschreibungspflichtige Arzneimittel noch nicht festgelegt sind.

Der steinige Weg zur pharmazeutischen Souveränität

Die Rückverlagerung der Produktion nach Europa gestaltet sich komplexer als zunächst angenommen. Der Aufbau einer einzigen Antibiotika-Fabrik dauert mindestens fünf Jahre und erfordert Investitionen von mehreren hundert Millionen Euro. Qualifizierte Fachkräfte fehlen, nachdem die pharmazeutische Produktion jahrzehntelang abgewandert ist. Zudem müssen Umweltauflagen beachtet werden, die in Asien oft keine Rolle spielen. Die Herstellung von Antibiotika erzeugt große Mengen problematischer Abwässer, deren Aufbereitung in Europa streng reguliert ist.

Trotz dieser Herausforderungen gibt es ermutigende Entwicklungen. Mehrere mittelständische Pharmaunternehmen haben angekündigt, ihre Produktion auszuweiten. Start-ups entwickeln innovative Herstellungsverfahren, die umweltschonender und kosteneffizienter sind. Die Politik unterstützt diese Bemühungen durch Subventionen, beschleunigte Genehmigungsverfahren und langfristige Abnahmegarantien. Ein neuer Industriezweig entsteht, der nicht nur die Versorgungssicherheit erhöht, sondern auch hochqualifizierte Arbeitsplätze schafft. Die pharmazeutische Souveränität Europas bleibt ein ambitioniertes Ziel, dessen Verwirklichung noch Jahre dauern wird. Doch die ersten Schritte sind getan, und die Richtung stimmt.

Image by Steve Buissinne from Pixabay

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